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    06.07.2022, 12:49 Uhr

    Das Ende der Geschichte


      
    Am 01. Mai haben Carlos und Simba mit mir, der „Chefin“, Mette, der Tochter der Chefin und ihren vielen vier- und zweibeinigen Freunden einen wunderbaren Tag verbracht. Alle waren zusammen, alle waren nach den langen Corona-Monaten fröhlich, weil es endlich wieder losging, die Musik, das Tanzen, ein Fest.
    In großer Harmonie und Fröhlichkeit tanzten Carlos und Simba ihre Choreos und es flossen einige Tränen der Rührung – weil sich Träume erfüllten. Carlos war der Lord of the Dance, er strahlte, er lachte, er hüpfte und sprang und juchzte, weil er so glücklich war auf dem blauen Teppich zu tanzen.

    Am 21. Mai ist Carlos gestorben, aus dem Nichts heraus, nachdem er 2 Wochen zuvor einen Alterscheck mit Bravour bestanden hatte. Klar, altersgemäße Kleinigkeiten, aber kurz vor dem 11. Geburtstag, mein Gott, es waren nur Kleinigkeiten.




    Und hätte das Schicksal es nicht schon böse mit uns gemeint, starb Ginger 2,5 Wochen später an Krebs und noch 4 Tage später Jack.

      

      
    Unser Rudel ist fort, zerbrochen, ohne das wir eine Chance hatten, uns darauf vorzubereiten,Es ist als wären wir aus der Kurve des Lebens geflogen. Raus katapultiert aus unserem Alltag, unseren Plänen, unseren Träumen.

    Am Sonntag Abend, dem Abend unseres wunderbaren Turniers wollte Ginger nicht fressen. Sie mäkelte, ließ sich aber von mir dann doch überzeugen. Eine kleine Gastritis, meinte der Tierarzt. Da wir aber sowieso am Montag bei Carlos wegen des Alterschecks Blut abnehmen wollten, nahm ich Ginger gleich mit, sicher ist sicher. Wir bekamen ein paar Magentabletten mit und warteten entspannt auf die Ergebnisse. Am Dienstag Abend meldete sich dann unsere Tierärztin: „Gingers Blutwerte sind sehr schlecht, wir müssen schauen warum“. Da war noch die Hoffnung, dass es sich, 2 Monate nach der Läufigkeit „nur“ um eine Gebärmutterentzündung handeln würde, denn so war Ginger ja fit und fraß auch wieder besser.




    Am Donnerstag bin ich mit Ginger und Carlos vor dem Tierarztbesuch noch einmal spazieren gegangen. Beide lachten und waren munter, vielleicht ein bisschen gnatzig, weil es kein Futter gegeben hatte. Dann die Diagnose: Ein großer Eierstockkrebs, der sofort operiert werden musste und eine zerstörte Bauchspeicheldrüse.

    Wir waren so geschockt, unser Gingerli, die nie etwas hatte, freundlich, bescheiden, im Nachhinein etwas langsamer als früher in den vergangenen Wochen. Aber das war sie in der Scheinschwangerschaft immer gewesen und sie hatte jeden Tag wie immer mit Simba gespielt, warum hatten wir das nicht bemerkt?
    Nach der OP sagte uns die Tierärztin, dass wir wahrscheinlich nur noch wenige Tage hätten und übers Wochenende dachten wir wirklich, dass Ginger es nicht schaffen würde.Wir rückten zusammen, ich kochte Hühnchen und versuchte etwas Leben in unsere goldige Mollipops zu füttern. Und es gelang: Das Leuchten kehrten in Gingers Augen zurück und fast schien sie die Tierärztin Lügen strafen zu wollen. Es ging ihr besser.
    Aber das Blutbild sprach etwas anderes, die Hoffnung trog.
    Die geborgte Zeit, die absehbare Zeit, wir wollten sie nutzen. Kleine und kleinste Spaziergänge. Zeit im Garten, denn auch Jacks Zeit verrann.

    Jack, unser kühner Jack Sparrow, Mr. 100.000-Volt war am Ende des Lebens angekommen. Laufen ohne Hilfe ging kaum noch, die natürlichen Geschäfte konnten teilweise nicht mehr kontrolliert werden und selbst das geliebte Fressen machte keine rechte Freude mehr. Wie hatte er sich letztes Jahr noch über Simbas Welpen gefreut. Selbst nach seinem Bandscheibenvorfall hatte er sie treu bewacht und begleitet. Wie war er noch die Treppe herunter gesprungen/flogen, obwohl seine Hinterbeine ihn nicht mehr trugen. Und wie strahlten seine wunderbaren Augen, voller Feuer und Energie.
    Doch jetzt in diesem Mai war das Feuer erloschen. Jack wollte gehen, er machte sich bereit. Man spürt das, wenn Hunde sich auf den Weg machen. Der Blick geht nach innen und ein erster Schleier legt sich über die Augen.

    Am Donnerstag machte ich mit Carlos und Simba die gewohnte große Runde. Es war heiß und stickig. So verzichtete ich auf Tricks und machte nur eine Abrufübung, denn Carlos war ordentlich am Hecheln. Ich dachte mir nichts dabei, es war ja alles in Ordnung, so der Tierarzt., und seine Leckerchen erbettelte der große Eisbär ganz normal wie auf jedem Spaziergang.

    Zuhause gab es Futter und dann dachte ich: „Wir machen eine kleine Runde mit Ginger in den Wald. Da ist es noch kühl und sie liebt den Wald so.“ Eigentlich hätte ich Carlos zuhause gelassen, aber er wollte so gerne mit. Und da wir ja wirklich mit Ginger nur eine kurze Strecke langsam laufen wollten, nahm ich ihn mit.
    Es war so schön im Wald. Das wunderbare Grün, die tiefe Stille, das entspannte Glück der Hunde, die gemächlich den Weg entlang schnüffelten. Ich machte ein paar Fotos und dachte: „ Wenn dies der letzte Tag gewesen wäre, so wäre es ein guter Tag.“

      

      
    Abends brach Carlos mitten im Obedience-Kurs zusammen. Wir hatten schon ein paar Übungen gemacht. Ich hatte sie wie immer erklärt und er hatte sie wie immer vorgemacht. Nach einem reinigenden Gewitter war es angenehm frisch und alles schien entspannt.
    Ich habe da in der Reithalle gedacht, er stirbt.
    Aber auf dem Weg zum Tierarzt kam Carlos wieder zu sich, berappelte sich so weit, dass der uns nach Hause schickte – vielleicht nur ein Kreislaufkollaps eines älteren Hundes bei dem wackeligen Wetter. Die Abendstimmung war so schön.

    Der Tierarzt am nächsten Tag diagnostizierte einen Herzbeutelerguss, der sofort punktiert wurde. Woher der kam? Es kommt öfter spontan vor, bei älteren großen Rüden. Es kann eine Nebenwirkung der Narkose bei der kleinen OP während des Alterschecks gewesen sein. Oder doch ein Tumor.
    Aber was auch immer, das Herz von Carli kam nicht mehr klar. Ich weiß jetzt wie ein schlechtes EKG aussieht. Trotz Infusionen wurde es nicht besser.
    Abends ist Carlos nicht mehr aufgestanden, er lag da, ganz ruhig. Den ganzen Tag hatte er mich immer wieder angeschaut und wollte gestreichelt werden. Abends ging er langsam nach innen. In der Nacht ist mein Carli noch zweimal aufgestanden, hat mich angeschaut und seinen großen dicken Kopf in meine streichelnde Hand geschoben. Seine wunderbaren Augen schauten mich an und nahmen Abschied.
    Morgens um 07.30 Uhr versagte sein Herz. Sein großes Herz brach, das für alle immer da war, das mich trug durch die Tiefen des Lebens, der im größten Schmerz und höchstem Zorn an meiner Seite war. Der immer Frieden stiften wollte, der alle tröstete und allen Anlehnung bot, den Kätzchen, dem Murkelchen, der kleinen Simba und immer wieder uns seinen Menschen. Wenn ich weinte, wenn ich nachts in Angst aufwachte, der große weiße Bär war neben mir und schaute mich so lange an, bis die Angst wich und die Trauer zur Ruhe kam. Wenn jemand traurig war oder weinte, kam Carlos zu ihm und kuschelte sich an ihn ran, beziehungsweise kletterte auf seinen Schoß um ihn zu beruhigen. Der große Kerl, man bekam ihn dann kaum wieder runter. 11 Jahre konnte ich mich darauf verlassen, dass, wenn ich nach dem Duschen die Badezimmertür öffnete, mein Carlos davor lag, glücklich, dass ich auch diesmal überlebt hatte. 11 Jahre freute er sich jeden Morgen über unser gemeinsames Erwachen.
    Er dachte sich aus, dass er mir nach unserer Rückkehr von den Hundekursen meine roten Hausschuhe brachte, oder dass ich eine Runde Leckerchen ausgeben musste, wenn einer des Rudels eine medizinisch/hygienische Behandlung brauchte: Dann setzte er sich so lange vor das Leckerchen Regal, bis ich es bemerkte und allen einen Keks gab.
    Carli apportierte mit größter Begeisterung und „erlegte“ jedes Dummy mit einem albernen Hechtsprung. Die Leute liebten es, wenn Carlos apportierte. Bei den Geruchsübungen hingegen hat er gerne geschummelt, nachdem er sie zweimal gut gemacht hatte, zeigte er irgendwo perfekt aber falsch an – wahrscheinlich fand er die Übungen langweilig.

    Carlos, ich wäre gerne mit dir in einem Heißluftballon geflogen und einmal am Gran Canyon gewesen. Das wären tolle Ausflüge gewesen. Aber wir sind mit einander SUP-Board gefahren und haben unseren schönsten Tanz getanzt – das wird reichen müssen.

    Jack ist am Mittag nach Carlos Tod von seinem Totenbett aufgestanden, hat den Schleier von seinen müden Augen gewischt und die Chefposition im Rudel wieder übernommen. Der Hund, der jede Grenze überschritt, ging über seine eigene Lebensgrenze hinaus um sich um uns und Ginger und Simba zu kümmern. Er putzte Ginger und lag bei Simba und kam 10 Mal am Tag gucken, ob es uns gut ginge. Ein Hund, der eigentlich nicht mehr laufen konnte. Für den wir den Tierarzttermin schon gemacht hatten. Von Jack habe ich gelernt was Durchhalten bedeutet. Weitermachen, auch wenn es nicht mehr geht. Nicht weinen, nicht hadern – weitermachen. Was hätte ich ohne Jacky gemacht?

    Jack hat gewartet, bis Ginger gegangen war, bevor er sich erlaubte, müde zu werden. Dieser schwierige, unmögliche, laute Krawallbruder hat für sein Rudel alles und mehr als alles gegeben.

    Ginger hat nach Carlos Tod noch 2,5 Wochen gelebt. Wir sind am See gewesen und am Meer. Und einmal waren wir noch einmal in dem Wald, in dem wir mit den Welpen waren, unsere wunderbaren Ausflüge. Und Gingers Augen leuchteten. Wenn man letzte Tage gut verbringen kann , so haben wir das getan. Ginger schlief mit Hilfe unserer lieben Tierärztin ein, als ihr Körper anfing endgültig zu entgleisen. Sie hat nicht gelitten.

      

      
    Und wenn sie auch ihren 10. Geburtstag nicht erreichen durfte, so war ihr Leben doch erfüllt. Mutter von 27 phantastischen Kindern, denen sie ihr liebevolles freundliches Wesen vererbte. Unsere Mutter Theresa, die beste Welpentante der Welt, Angsthundversteherin und Friedensengel für kleine Aggros – Miss Mollipops war unser goldenes Schätzchen, die Mutti der Nation, meine beste Kollegin in der Hundeschule. Wie kann es ohne sie weiter gehen?

    Jack wäre beinahe mit Ginger mitgegangen, plötzlich war er nicht mehr ansprechbar, lag auf der Seite und die Tierärztin fragte, ob sie sie zusammen auf ihre letzte Reise gehen lassen sollte. Aber das konnte ich nicht. Es gibt ein zuviel und ich bat Jacky zu bleiben. Und dieser wunderbare Junge kam noch einmal zurück – für mich, für uns. Ich werde ihm das nie vergessen.
    Jack ist dann 4 Tage später gegangen. Wir konnten uns verabschieden und ich konnte „Danke“ sagen, diesem treuen, tapferen Wächter und Beschützer des Rudels.
    Für Jack waren immer nur wir wichtig, die Familie, das Rudel. Mit 4 Monaten hat er den Nachbarn des Abends verbellt und sein kleines Beinchen gehoben um ihm zu sagen: Hier wache ich und passe auf meine Lieben auf. Er hatte wenige aber dafür gute Freunde, alle anderen sollten wegbleiben von seinem Rudel. Unser Mr. 100.00 Volt, der alles blitzschnell machte, der mit dem Kopf durch die Wand bzw. den Zaun ballerte, wenn sein Ball auf der falschen Seite lag. Der die Lämmchen putzte und die Welpen betüddelte, wenn keiner hinsah. Der mit Carlos und Simba in der Welpenzeit so albern war, dass es uns keiner glauben wollte.
    Mein schwarzer Teufel – ich denke, Du bist so schnell gerannt, dass Du Carlos und Ginger sicher bald eingeholt hast. Wenn sie nicht eh gewartet haben.
    Carlos und Jack – mein Yin und mein Yang.

      
    Ginger und ihre Jungs, die mit dem einen gern Kinder gehabt hätte, und außer dem anderen niemals einen Rüden an sich ran gelassen hätte.

      
    Ich habe mich beim Schreiben dieser letzten Zeilen gefragt, ob ich überhaupt Fotos hinein setzen soll. Wie kann es Fotos von einer Tragödie geben? Eine Tragödie ist etwas, womit keiner gerechnet hat. Die Helden geben sich alle Mühe, kämpfen heroisch und gehen doch unter.
    Aber wenn ich in meiner Handy-Galerie, der letzten Monate blättere, sehe ich Verbundenheit, Zugehörigkeit, Liebe. Alle waren zusammen, die Alten, Wunderlichen, Gebrechlichen standen und lagen im Mittelpunkt, wurden nicht bedauert, sondern integriert.





      

      

      

      
    Carlos, der 11 Jahre neben meinem Bett schlief, hat 2 Nächte bei der kranken Ginger genächtigt. Der fast gelähmte Jack, legte sich zu dem sterbenden Carlos und begleitete ihn Schulter an Schulter auf seinem letzten Gang zum Birnenbaum, Ginger spielte mit Simba, als ihr schon längst nicht mehr nach Spielen zu Mute war. Sie kümmerten sich um einander und versuchten die Lücken des Verlustes zu schließen.

    Als Simba aus der Küche trat, nachdem Jack zur Einäscherung abgeholt worden war, stand dort Tilda und leckte ihr das Gesicht ab, die kleine Tröstekatze.
    Auch wenn man es wissenschaftlich nicht Rudel, sondern Gruppe nennt – vielleicht ist es richtiger zu sagen: eine Familie, zusammen gewachsen und aufgewachsen. Mit verschiedenen Rollen, wie das in einer Familie so ist: der Rudelanführer, der coole, in sich ruhende Mittelpunkt, der Wächter, der auch die Nurse war, die gutmütige Chefin, die ihre Jungs liebte und die kleine Stieftochter voller Geduld und Humor aufzog, nachdem ihr eigener kleiner behinderter Sohn gestorben war. Das Nesthäkchen, das 4,5 Jahre mit ihrem Papa in einem Korb schlief. Und nicht zu vergessen, die kleine alte Dame, die sich wahrscheinlich mehr als Mensch, denn als Hund sah.
    Carlos, der Fels, den Ginny mochte und die Katzen liebten, Jack, der so albern und so furchterregend sein konnte, Ginger, die bestimmt nicht der schlaueste Hund unter der Sonne, aber womöglich der freundlichste war, Simba, lustig, ausgelassen, frech – immer noch Kind, bis sie innerhalb von Tagen erwachsen wurde und die kleine Ginny, die alle achteten und keiner ernst nahm.

    Was lernen wir also über den Tod? Vielleicht, dass es nicht so wichtig ist, wie lang ein Leben ist, sondern, dass es erfüllt war. Ginger ist in den 4,5 Wochen nach Diagnose und OP im Zeitraffer gealtert, sie wurde von Tag zu Tag weniger. Erst hat sie noch gespielt mit Simba, dann hat sie es nur noch angedeutet und schließlich hat sie damit aufgehört. Carlos ist mit einem Paukenschlag gegangen. Vielleicht ist sein großes Herz gebrochen, als nach Murkel damals und Ginny im März, Jack langsam schwand und Ginger vor seinen Augen zu einem totkranken Hund wurde. Vielleicht wollte er all das nicht mehr.
    Vielleicht aber ist es alles auch nur schnöde Biologie und Zufall, trost- unnd erbarmungslos. Hunde sterben eben, die einen früher, die anderen später und manchmal sterben sie gleichzeitig.

    Aber diese Gedanken sind eines Carlito unwürdig: 11 Jahre lang haben wir zusammen diesen Blog geschrieben: Carlos mit seinen Geschichten und Gedanken, ich dazu mit meinen unzähligen Fotos. 569 Beiträge sind es geworden. Geschichten eines guten Lebens. Carlito hätte gesagt: „Wir haben viele Feste gefeiert, sehr, sehr gute und vor allem viele Leckerchen gefressen, wir waren baden und haben tolle Ausflüge gemacht. Wir haben zusammen getobt und mit unseren Leuten so viel Spaß gehabt. Da werden wir doch jetzt nicht weinen! Wir wollen uns erinnern, uns auf dem Rasen wälzen und gute Laune haben – so geht das. Und wenn es mal schwer wird, erinnert euch an die Devise meines guten alten Freund Jack: Immer Weitermachen!“

      
    Und das ist wohl das Vermächtnis unserer Schätze an uns: die Zusammengehörigkeit, das Aufeinander-aufpassen, die Liebe. Und so werden wir weitermachen, auch wenn es so ungeheuer schmerzt, auch wenn das Herz in 1000 Stücke zerbrochen ist, auch wenn wir uns so furchtbar allein fühlen.

    Ginny 04. März 2022
    Carlos 21. Mai 2022
    Ginger 06. Juni 2022
    Jack 10. Juni 2022

      

      




    Aber sie sind ja nicht allein – da ist ein Hund, eine Katze, 2 Menschen, umgeben von ihrer Familie und all ihren vier- und zweibeinigen Freunden – sie werden das schon schaffen. Und wer weiß? Vielleicht wird es irgendwann eine neue Geschichte geben, vielleicht irgendwann …

    Fargau, im Juni 2022